Zur Lage der Mobilität in unserer Stadt

Ein Pamphlet, so sagt es die Wikipedia, ist eine leidenschaftliche Schmähschrift, bei deren Argumentation die Sachlichkeit in den Hintergrund tritt. Das ist auch bei dem folgenden Text der Fall, die Sachlichkeit findet sich am Ende des Textes. Aber manchmal muss man überspitzen und polemisieren, und genau das habe ich nun vor: Das Thema: Unser Ansatz, wie wir uns in unserer Stadt fortbewegen. Das ist banal? Oder alternativlos? Eben nicht! Es ist das Werk von uns allen als Gesellschaft und wir leben damit, meist ohne darüber nachzudenken, oder Veränderungen eine Chance zu lassen.

[1] Unsere Mobilität tötet I.

Ohne nachzudenken akzeptieren wir, dass unsere Mobilität Menschen tötet. Oder verletzt. Das lässt sich leicht dahin schreiben, aber es bedeutet, dass jemand für immer nicht mehr zu seinen Lieben nach Hause kehren kann, ein Vater, der seiner Kinder nicht aufwachsen sieht, eine Mutter, deren Kinder damit klarkommen müssen, ohne Mutter groß zu werden. Oder Jungen und Mädchen, die nie Kinder haben werden. Alle drei Tage verunglückt in Wuppertal ein Kind im Straßenverkehr, alle 8 Stunden wird ein Mensch verletzt, angefahren, überfahren, seiner körperlichen Unversehrtheit beraubt. Und das nehmen wir in Kauf! Jeden Tag! Und sind uns doch meist der Gefahr nicht bewusst, fühlen uns sicher. Bis der Moment kommt…

Können wir das nicht besser machen? Ja! Ziel: Null Verkehrstote, jetzt!

[2] Unsere Mobilität tötet II.

Ohne nachzudenken akzeptieren wir, dass unsere Mobilität Menschen tötet. Ja, das hast Du gerade schon gelesen. Wenn wir von Verkehrstoten oder -verletzten reden, dann geht es immer um die, die direkt getroffen werden. Die das Blech, den Asphalt, den Reifen spüren, der den Körper attackiert. Aber die dreckige Luft, der Feinstaub und die Stickoxide des Autoverkehrs, der LKW und der Busse, auch die sorgen für Körperverletzungen. Verletzungen, die nicht äußerlich bluten, aber ebenso tödlich sein können. Wer an einer Hauptstraße wohnt, stirbt früher und ist häufiger krank als derjenige, der es sich leisten kann im Grünen zu wohnen und täglich mit SUV in die Stadt fährt. Tod auf Raten, auf Kosten der Armen. Weil wir es so wollen.

Können wir das nicht besser machen? Ja! Ziel: Null Emissionen im Straßenverkehr!

[3] Unsere Mobilität ist nicht kindgerecht.

Unser Verkehr ist doppelt tödlich. Kann es noch schlimmer kommen? Eigentlich nicht. Aber: möchtest Du Kind in dieser Stadt sein? Möchtest Du jedes Mal, wenn Du zur Schule musst, in einem verdunkelten Panzer gefahren werden? Die Welt nur aus einem Aquarium heraus sehen, nicht fühlen, nicht riechen, nicht spüren? Möchtest Du zur Schule über vollgeparkte Gehwege, zugestellte Zebrastreifen gehen? Sind uns unsere Kinder eigentlich egal? Und deren Eltern? Sollten wir unsere Stadt nicht so bauen, dass möglichst viele Kinder sich sicher und selbstständig darin bewegen können? Warum bauen wir unsere Stadt so, dass möglichst viele Stehzeuge darin Platz finden und nicht so, dass möglichst viele Kinder gefahrlos Kinder sein können?

Können wir das besser machen? Ja! Ziel: Bauen wir unsere Infrastruktur kinderverträglich, nicht autogerecht!

[4] Unser Verkehr verbraucht zu viel Platz.

Überhaupt, der Platz. Wuppertal ist steil, eng, grün, schmal. Wer ist auf die Idee gekommen, hier wäre der perfekte Ort für Autos? Wir haben keinen Platz für so viele. Das soll jetzt kein Rant gegen das Auto an sich werden. Sondern gegen die Dosis. Wenn jeder mit dem Auto unterwegs ist, von der Tiefgarage im Haus zur Tiefgarage in der Arbeit, wenn Autos, Autos behindern, wenn der sicherste Ort für Kinder in Autos ist – haben wir dann nicht „etwas“ übertrieben? Und das Problem wird auch nicht besser, wenn die gleiche Anzahl Autos elektrisch fährt…

Können wir das besser machen? Ja! Reclaim the streets!

[5] Es gibt nichts Schlechtes am ÖPNV. Es gibt nur schlechten ÖPNV.

Aber was machen wir, wenn wir nicht mehr das Auto nutzen? Wenn wir wirklich eine kindgerechte Stadt, weniger Verkehrstote und keine gesundheitsschädliche Luft haben wollen? Na, klar, zu Fuß gehen und Rad fahren. Und wenn das nicht geht: ÖPNV. Du weißt schon, diese komischen Busse und Bahnen, dieses System mit so vielen Nachteilen. Stop! Alles falsch! Es gibt nichts Schlechtes am ÖPNV. Es gibt nur schlechten ÖPNV. Takte, Bedienungshäufigkeit, Linienwege, Komfort – alles hängt am Geld.

Können wir das besser machen? Ja! Ziel: Eine neue Finanzierung finden!

[6] Fehlende Kostentransparenz führt zu falschen Entscheidungen.

Moment, sagst Du, mehr Geld in ein System zu stecken, dass schon ein Defizit hat, kann nicht gut sein? Tja, eigentlich ein gutes Argument. Wenn es stimmen würde. Der Autoverkehr kostet uns viel mehr als der ÖPNV, es redet nur keiner drüber. Niemand weiß, wie teuer Wuppertal die autogerechte Stadt kommt, aber alle stänkern über das Defizit des ÖPNVs, weil sich das einfach berechnen lässt. Wir wissen nicht, was die Stadt Wuppertal für das Auto jedes Jahr ausgibt. Wir fliegen im Blindflug dahin und niemanden stört es.

Können wir das besser machen? Ja! Ziel: Kostentransparenz schaffen!

[7] Der ÖPNV hat kein Defizit. Die Gewinne tauchen nur nicht bei den WSW auf.

Was bedeutet das eigentlich, dieses Defizit beim ÖPNV? Es bedeutet, dass die WSW als Betreiber des ÖPNV investieren und dass wir alle, als Stadtgesellschaft, die Früchte ernten. Früchte, die die WSW aber nicht in die Bilanz stellen kann. Wenn ein Bus 60 Autos ersetzt, wenn ein Bus Arbeitsplätze erreichbar macht und wenn alle Busse hier vor Ort für Arbeitsplätze sorgen – all das spült Geld in die Kasse der Stadt oder vermeidet Ausgaben. Und diese positiven Effekte sind höher als das Defizit bei den WSW. Aber weil wir keine volkswirtschaftliche Bilanz ziehen, sondern borniert betriebswirtschaftlich denken, kürzen wir Investitionen in einem Betrieb, der hohe volkswirtschaftliche Gewinne erzeugt. Verrückt!

Können wir das besser machen? Ja! Wir müssen uns klarmachen, dass der ÖPNV unsere Stadt attraktiver macht, Arbeitsplätze schafft und viele Kosten vermeidet. Immer wieder.

[8] Der Tarifdschungel schreckt vom Fahren mit dem ÖPNV ab.

A propos Kosten. Hast Du noch den Durchblick, welches Ticket für welche Verbindung das günstigste ist? Einzel, 4er, 10er oder Happy Hour-Ticket? Oder doch lieber ein Abo? 1000, 2000, Bären-, Schoko, Semester-, Young-, Sozial-? Welches gilt wann und wo und wie lange und wie weit? Wir machen unseren ÖPNV so unkompliziert, dass kaum einer durchblickt und jederzeit die Gefahr besteht, etwas falsch zu machen oder zu viel zu zahlen. Zu kompliziert! Zu anstrengend! Zu blöd!

Können wir das besser machen? Ja! Ein Ticket für alle, von allen bezahlt. Ein Ticket von allen, für alle. Jederzeit. Das Bürgerticket!

[9] Das Sozialticket ist ein großer Etikettenschwindel.

Moment mal, habe ich eben Sozialticket geschrieben? Das heißt doch jetzt MyTicket, damit es nicht so diskriminierend klingt. Und ein Sozialticket war es ja nie. Im ALG II Satz sind 25 € für Mobilität vorgesehen. Das Sozialticket kostet aber 35 € im Monat. Die Armen in unsere Gesellschaft zu verarschen ist auch kein schöner Zug. Dabei zahlen wir alle schon für den ÖPNV, über die Strom- und Gasrechnung. Damit wird WSW-intern das Defizit gedeckt. Eine schöne Idee, so tragen alle etwas zu einem guten ÖPNV bei, auch die, die ihn nicht so aktiv nutzen. Doch seit 1998 kann jeder den Energieanbieter frei wählen. Das wird das Ende unsere Solidarfinanzierung.

Können wir das besser machen? Ja! Ein Solidarisches Bürgerticket! Ein Ticket von allen, für alle. Solidarisch.

[10] Ohne Verkehrswende halten wir den Klimawandel nicht auf!

Zu guter Letzt geht es noch mal um’s große Ganze. Seit 1990 haben wir im Verkehr nicht eine einzige Tonne, nicht ein Gramm CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich eingespart in Deutschland. Nichts. Nada. Wir kämpfen an vielen Fronten gegen den Klimawandel, oft halbherzig, selten konsequent und im Fall der Mobilität gar nicht. Wir werden den Klimawandel, der nicht nur Wuppertal betrifft, nicht bekämpfen, nicht dämpfen können, ohne unser Mobilitätsverhalten zu ändern.

Können wir das besser machen? Ja! Lasst uns eine zukunftsfähige Mobilität, eine zukunftsfähige Stadt bauen!

  • Eine Stadt ohne Verkehrstote und mit möglichst wenigen Verkehrsverletzten!
  • Eine Stadt, die Mobilität von den Kindern aus denkt. Für ihre Sicherheit.
  • Eine Stadt mit belebten, sicheren, schönen Straßen, Parks, Cafés und Spielplätzen.
  • Eine Stadt für Menschen, nicht für den Verkehr.
  • Eine Stadt, in der die Kosten der Verkehrsträger transparent sind.
  • Eine Stadt, in der ein Bürgerticket solidarisch finanziert wird.
  • Eine Stadt, in der auch die Armen mobil sein können.
  • Eine Stadt, in der der ÖPNV hervorragend ist. Und man gerne Rad fährt und zu Fuß geht.
  • Eine Stadt, in der Verkehr kaum noch CO2 ausstößt.

Können wir das schaffen? Ja! Wenn wir nur wollen!


Veranstaltungstipp: Was sagt eigentlich der Oberbürgermeister zur Verkehrswende Wuppertal? Erfahre es am 9. Mai, 19 Uhr, in der City-Kirche am Kirchplatz.


So, nun ein bisschen Sachlichkeit:

[1] Jahresverkehrsbericht der Wuppertaler Polizei

[2] Zum Feinstaub: http://www.zeit.de/2016/17/feinstaub-autos-stuttgart-fahrverbot-reduzierung

[3] Zum Schulweg: https://www.migrosmagazin.ch/menschen/interview/artikel/haertere-gangart-gegen-elterntaxis

[4] Zum Flächenbedarf: http://www.zukunft-mobilitaet.net/78246/analyse/flaechenbedarf-pkw-fahrrad-bus-strassenbahn-stadtbahn-fussgaenger-metro-bremsverzoegerung-vergleich/

[6] Zu den Kosten des Autoverkehrs: https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/aktuell/nachrichten/investitionen-radverkehr-fuer-staedte-am

https://www.vcd.org/themen/verkehrspolitik/kostenwahrheit-im-verkehr/

[7] Zum Nutzen des ÖPNV: https://www.stadtwerkekoeln.de/fileadmin/_media/downloads/kvb/Mobilitaet_in_Koeln.pdf

[10] Daten zur Umwelt: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/daten_zur_umwelt_2015.pdf