Die Bürgerbeteiligung droht an der Politik zu scheitern

Am 14. September und am 17. September bietet die Stadt Wuppertal zwei Workshops zum Nahverkehrsplan (NVP) an, in denen sich jeder einbringen kann, der sich an der Entwicklung beteiligen kann. Weitere Informationen zur Dauer und Anmeldung finden sich hier: www.wuppertal.de/nahverkehrsplan

Bevor der Verkehrsausschuss am 1. September mit seinem Beschluss das Startsignal zum Arbeit am NVP und zur Bürgerbeteiligung daran gegeben hat, ist schon viel passiert. Der alte Nahverkehrsplan aus dem Jahr 1997 war hoffnungslos überaltert, doch verschiedene Elemente wie der neue Döppersberg, die neuen Schwebebahnen und der 2-Minuten-Takt haben u.a. eine Realisierung verzögert.

Im Kommunalwahlkampf 2014 hat die SPD betont, dass der neue Nahverkehrsplan die erste Herausforderung des neuen Bürgerbeteiligungsdezernenten werden soll. Angesichts dieser Ansage hat sich ein etwa zehn Personen starker Kreis zusammengefunden, um die Konzeption der Bürgerbeteiligung zu begleiten. Darunter zählten Vertreter der Initiative Bündnis Unsere Stadtwerke, von Linken, Grünen und anfangs auch der FDP, der Verbände ProBahn und VCD, der IG Fahrradstadt und des Wuppertal Instituts und des Fachbereichs Verkehr der Bergischen Universität Wuppertal. Zu seltenen Gelegenheiten war auch die SPD vertreten, die CDU nie.

Ob die vier Treffen mit der Stadt am Ende eine Auswirkung auf die Gestaltung der Bürgerbeteiligung hatten, mag ich nicht ermessen, auf jeden Fall, so denke ich, haben die Treffen mit den Beigeordneten Meyer und Paschalis und ihren Mitarbeitern sowie dem Gutachter dazu beigetragen Vorbehalte auf beiden Seiten zu verringern. Ich empfand die Gespräche gerade durch die Beteiligung von Universität und Wuppertal Institut als wertvoll für beide Seiten. Am Ende stehen nun ziemlich hastig angekündigte Beschlüsse für Workshops, deren Anmelde- und Bewerbungsphase gerade einmal 12 Tage ab Beschluss dauern. Das ist alles andere als optimal, auf der anderen Seite wird ein gemischtes Gremium aus Experten und Fahrgästen die Konzeption des NVP dauerhaft begleiten, das halte ich für eine sehr gute Sache. Und schließlich wird man sehen müssen, wie die abschließende Bürgerbeteiligung zum Entwurf des Nahverkehrsplans aussieht.

Nach dieser langen Vorrede komme ich aber nun zu meinem eigentlichen Anliegen, den allgemeinen Erkenntnissen, die ich in Sachen Bürgerbeteiligung gewonnen habe.

Bürgerbeteiligung ist eine Querschnittsaufgabe

Bürgerbeteiligung betrifft auf sachlich-fachlicher Ebene in den meisten Fällen ein Ressort eines Geschäftsbereichs (siehe Organigramm der Stadtverwaltung), der nicht dem Bürgerbeteiligungs-dezernenten zugeordnet ist. Das bedeutet das mindestens zwei Dezernenten an den Verfahren beteiligt ist und ggf. der eine dem anderen in sein Geschäft reinquatscht, als Eindringling empfunden wird, wenig Fachkompetenz hat. Lediglich in Sachen Seilbahn und Bürgerbeteiligungsleitlinien hat der Dezernent freie Hand, da hier sein Ressort federführend ist. Ich habe diese Konstellation als unglücklich empfunden, denn wenn beide Dezernenten nicht auf Augenhöhe operieren können oder wollen (ohne dies jetzt auf die agierenden Personen zu beziehen!), bleibt der Bürgerbeteiligungsdezernent ein Dezernent 2. Klasse, denn sein Ressort ist nicht federführend.

Das bedeutet keinen Abgesang auf die Bürgerbeteiligung, im Gegenteil. Aber meiner Meinung nach wären die Kompetenzen der Bürgerbeteiligungsstelle und ihre zu erwebenden Erfahrungen besser im Geschäftsbereich des Oberbürgermeisters angesiedelt, wie die anderen Stabsstellen, die Querschnittsaufgaben wahrnehmen: Presseamt, Rechnungsprüfungsamt, Datenschutz- und Gleichstellungsbeauftragte. Schließlich ist besonders der direkt gewählte Oberbürgermeister das Scharnier zwischen Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung.

Bürgerbeteiligung braucht Zeit

“Was, der Bürgerbeteiligungsdezernent ist schon ein Jahr im Amt und Wuppertal ist noch nicht das Paradies auf Erden?” Ein bisschen überspitzt, könnte man so die Kritik der WZ zusammenfassen, die sie regelmäßig veröffentlicht. (Ja, wirklich nur ein bisschen). Bürgerbeteiligung braucht Geduld, denn sowohl die Verwaltung als auch die Bürger müssen Zeit und Arbeitsleistung einbringen. Nichts ist fataler als schnell hingeschluderte Bürgerbeteiligung, die am Ende mehr Schaden anrichtet als hilft und zwar auf beiden Seiten. Die Stadtverwaltung hat routinierte Vorgänge, in den Bürgerbeteiligung nicht vorgesehen ist, schließlich ist der Rat das entscheidende Gremium. Das heißt, wenn man die Bürgerbeteiligung ernst meint, muss man die Routinen aufbrechen und durch sinnvolle Angebote ergänzen. Auch wenn jetzt hier ein schöner Platz für einen schäbigen Witz über die Arbeitsmoral von städtischem Personal wäre, glaube ich doch, dass die Mitarbeiter der Stadt genauso frustriert von unnützen Maßnahmen sind, wie die Bürger, wenn Bürgerbeteiligung sich als Papierkorb entpuppt. Das heißt, wir müssen respektieren, dass die Verwaltung Zeit braucht sich zu öffnen, Erfahrung sammeln muss und Vertrauen gewinnen muss. Genau wie die Bürger auch.

Bürgerbeteiligung braucht auch deshalb Zeit, weil sie nicht einfach ist. Wer sich an die selbstgestrickten Bürgerbeteiligungsverfahren der Kämmerei zum Haushalt erinnert, wird jetzt nur mit dem Kopfnicken. Es gibt einen ganzen Werkzeugkoffer von Verfahren und Vorgehensweisen, die auf die jeweilige Situation hin ausgewählt, kombiniert und angepasst werden müssen. Das braucht Zeit, Erfahrung und Erprobung. Ein hämischer Artikel ist schnell geschrieben, verloren gegangenes Vertrauen ist nicht so schnell wiederherzustellen. Deshalb sehe ich lieber gründliche Bürgerbeteiligung als mit kurzlebige mit viel Feuerwerk.

Bürgerbeteiligung braucht Ressourcen

Das führt direkt zum nächsten Punkt. Bürgerbeteiligung braucht Personal und zusätzliche Arbeitsstunden in der Verwaltung, Freizeitverzicht bei den Bürgern und Politikern. Und das ist ein Knackpunkt. Wer in der Kommunalpolitik aktiv ist, macht das ehrenamtlich, sei es in einer Partei oder einer Initiative. Bürgerbeteiligung funktioniert also nur, wenn mehr investiert wird.

Bürgerbeteiligung scheitert an der Politik

Aber vielleicht liegt hier genau die Bruchstelle. Wer “Parteipolitik” macht, muss sich mit den Gremien des Rates und der eigenen Partei auseinandersetzen, jedes zusätzliche Gremium kostet noch mehr Ressourcen der beteiligen Personen und zwar in Verfahren, die nicht konform sind zu den bestehenden. Wer hingegen “Initiativenpolitik” macht, hat oft kein Interesse an Parteiarbeit, sich mit Themen zu beschäftigen, die weit weg sind von der eigenen Initiative, ist, so vermute ich, nicht an Amt und Karriere in der Verwaltung und Politik interessiert, sondern seinem Thema, unabhängig von Parteigrenzen.

Beide Wege sind legitim, beide Wege sind mit Vor- und Nachteilen verbunden. Aber sie sind schwer übereinander zu bringen. Parteien und die städtische Selbstverwaltung blicken auf eine lange Geschichte zurück und funktionieren in ihren Abläufen. Sie haben sich zweckmäßig gebildet. Sie haben ihre Legitimation. Mehrmals fielen in den Beratungen die Worte vom Primat der Politik, vom Rat, der die Entscheidung treffen muss. Dabei hatte das niemand in Frage gestellt. Bürgerbeteiligung rüttelt also nicht nur am Habitus und Selbstverständnis der Verwaltung, sondern auch dem der Politik. Während die Verwaltung von der Politik zu Bürgerbeteiligung gezwungen werden kann, muss die Politik sich selber zwingen.

Und hier stehen wir nun vor einem Dilemma der Begriffe, denn Kommunalpolitik ist ja nichts anderes als Bürgerbeteiligung. Wir wählen die Stadtverordneten, damit sie sich beteiligen, in unserem Namen, damit wir einen Ansprechpartner haben, über den wir uns beteiligen können, damit über Entscheidungen öffentlich diskutiert wird und wir Einflussmöglichkeiten haben. Der Stadtrat ist Bürgerbeteiligung.

Aber er ist auch Parteipolitik, und die steckt in Deutschland in der Krise, wie das Interview mit Sven Liebert in Zeit Campus aufzeigt.

Stell dir mal vor, du willst dich für ein sozialeres Europa engagieren und dann musst du erst mal in den Ortsverein, sitzt im verrauchten Hinterzimmer, in der Mitte der Parteiwimpel und alle Leute sehen aus wie Asbach Uralt. Klar, dass die Jungen lieber ihr eigenes Ding machen und eine Initiative gründen. Da müssen die Parteien flexibler werden mit thematischen oder befristeten Mitgliedschaften und digitalen Arbeitsgruppen.

Reine “Parteipolitik” zieht nicht mehr, sie braucht die Verbindung mit “Initiativenpolitik”, mit Menschen, die besonders für ein Thema brennen und sich engagieren, sei es in Initiativen und/oder Bürgerbeteiligungsverfahren. Das bedeutet, die Stadtratspolitik muss sich öffnen, muss ebenso wie die Stadtverwaltung die eigenen Routinen (Hallo Geschäftsordnung!) überprüfen, die eigenen Gremien und Vorgehensweisen in Frage stellen und reflektieren. Denn Bürgerbeteiligung ist eine Querschnittsaufgabe, die auch die Politik betrifft. Denn Bürgerbeteiligung braucht Zeit und die muss freigeräumt werden. Denn Bürgerbeteiligung braucht Ressourcen, auch bei den Stadtverordneten.

Es nützt doch nichts, wenn sich Politik aus Zeitmangel nicht mit der Bürgerbeteiligung, mit dem Input der Bürger, mit den Verfahren beschäftigt, sondern in den Fraktionssitzungen, Ausschüssen und parteiinternen Arbeitsgruppen bleibt und sich dort die Meinung bildet, während vielleicht einen Raum weiter noch mehr Wissen und Input ungenutzt in einem ignorierten Bürgerbeteiligungsverfahren versandet. Das bedeutet nicht, den Primat der Politik in Frage zu stellen. Aber es bedeutet von “der Politik” zu verlangen, die Bürgerbeteiligung ernst zu nehmen und nicht Verwaltung und Bürger alleine zulassen und am Ende zu ignorieren. Das wäre tödlich.

Das bedeutet, bei den Haushaltsberatung die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung nicht gesammelt “zur Kenntnis” zu nehmen, sondern sie im Rat, vor dem großartigen und notwendigen Rats-TV zu diskutieren. Es bedeutet die Entscheidungsfindung, die Abwägung der Argumente aus Bürgerbeteiligungsprozesse in den Parteien offen und transparent zu gestalten, die Ideen so ernst zu nehmen, wie es Respekt und Höflichkeit verlangen. Das bedeutet für mich zum Beispiel auch, Anträge nach §24 GO im Rat zu behandeln und erst dann einem Ausschuss vorzulegen.

Liebe Parteien, nehmen Sie Bürgerbeteiligung als Chance war, die eigenen Handlungsmuster, die eigenen Leitlinien auf den Prüfstand zu stellen und zu überlegen, wie man Parteipolitik und Initiativenpolitik zu einem Ganzen verbinden kann.

  • Für mehr Verständnis zwischen Stadt, Rat und Öffentlichkeit.
  • Für mehr Wissenstransfer zwischen Stadt, Rat und Öffentlichkeit
  • Für eine Weiterentwicklung der kommunalen Demokratie im 21. Jahrhundert.

Bürgerbeteiligung funktioniert nur mit dem Stadtrat, nicht dagegen. Im Moment habe ich den Eindruck, Bürgerbeteiligung scheitert möglicherweise genau hier.