Neulich gab die Deutsche Welle Wuppertal die Bezeichnung “Transformationsstadt” und lobte die Stadt als “Labor für die Welt.” Einige Wuppertaler werden da wohl nur müde gelächelt haben und das als Spleen abgetan haben und sich damit auseinander gesetzt haben, was Wuppertal nicht ist, anstatt zu sehen, was Wuppertal für Chancen bietet. “Mehr Wuppertal wagen” ist noch nicht bei allen angekommen. Dabei ist Wuppertal längst dabei sich neu zu erfinden, Mut zu schöpfen, Lust zu entwickeln anders, zu denken und aus der Stadt etwas zu machen, das sie lebenswerter, liebenswerter und zukunftsfähiger macht. Die Süddeutsche Zeitung nannte Wuppertal neulich ein “Stehaufstädtchen” und diese Mentalität bringt Wuppertal voran, nicht das Zagen, Zaudern und Festhalten an alten Rezepten. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie hat nun ein Impulspapier herausgebracht, das nichts anderes fordert als eine Verkehrswende, in der sich alle diese Schlagwörter wiederfinden: Ein Stehaufstädtchen transformiert seine Mobilitätsstrukturen im Hinblick auf die Herausforderungen der Zukunft und wagt den Aufbruch, wird Pionier und Vorbild dafür, mehr Wuppertal zu wagen.
Was versteckt sich nun hinter dem 20seitigen Papier “Von der Auto-Stadt zu einer Stadt des Umweltverbunds : zehn Leitlinien zur Verkehrswende in Wuppertal von Oscar Reutter, Fredereric Rudolph und Thorsten Koska?
Es ist die Vision einer Stadt, in der der Umweltverbund aus ÖPNV, Fußverkehr und Radverkehr für 3/4 aller Wege genutzt wird. Das Rückgrat bildet ein moderner ÖPNV, finanziert durch ein experimentelles Solidarisches Bürgerticket, mit mehr Linien, dichterem Takt, eigenen Busspuren, modernen, umweltfreundlich betriebenen Bussen, der Schwebebahn und möglicherweise einer Seilbahn. Für 33% aller Wege nutzen die Wuppertaler “ihren ÖPNV”.
Ebenso häufig gehen sie zu Fuß, denn die Stadt setzt voll auf das Konzept der kurzen Wege, konzentriert sich auf eine verkehrssparsame Stadtstruktur, anstatt an den Rändern weiter auszufransen und weite Wege zu produzieren. Die Kernstadtteile werden gestärkt und zu Fuß gehen wird zur Lust statt zum Frust. Schulwege werden sicher gemacht, Treppen und Aufzüge ermöglichen bequeme vertikale Wege, an den Hauptstraßen gibt es viele und gute Querungshilfen und der Autoverkehr ist nirgendwo schneller als mit 30 km/h unterwegs. Die Aufenthaltsqualität in den Straßen steigert sich durch Bänke, Ruhepunkte und eine generelle Barrierefreiheit.
Zum Umweltverbund gehört auch das Fahrrad, oder vielmehr das Pedelec. Die Nordbahntrasse ist der preiswürdige Anfang, ein durchgehender Radweg auf Wupper-Niveau die Fortsetzung und ein Radwegenetz mit optimaler Ausschilderung, Radwegen, öffentlichen, diebstahlsicheren Fahrradabstellanlagen uns Radparkhäusern die Krönung. So wird das Pedelec zum Alltagsverkehrsmittel, mit dem man gerne, auch wegen der verringerten Geschwindigkeit der Autos 10% der Wege zurücklegt.
Der Umweltverbund heißt dabei nicht umsonst “Verbund”, weil man nur einen Teil davon nutzt. Es gibt vielfältige Möglichkeiten zwischen den Verkehrsträgern zu wechseln und diese Schnittstellen müssen gestärkt werden, zu Mobilitätsstationen ausgebaut werden. An diesen Orten steigt man um und nimmt je nach Ziel und Wunsch den Bus, die Schwebebahn, die Bahn, das (Leih)-Pedelec oder das Car-Sharing-E-Auto. Der Döppersberg kann Wuppertals erste, vorbildliche Mobilitätsstation, ja seine Mobilitätszentrale werden. Alles unkompliziert und jedes Mal an den Bedürfnissen des Nutzes ausgerichtet, zum Beispiel mit einer “Umweltkarte” für ÖPNV und Car-Sharing.
“Ja, aber, das geht doch nicht!” hört man die Bedenkenträger rufen. Doch es geht. Wenn man akzeptiert, das schmerzhafte Einschnitte im Autoverkehr nötig sind, dass es Umweltzonen, Tempo 30, Umweltspuren (für Bus & Rad), teure Parktickets braucht, um den Autoverkehr zu halbieren. “Ja, genau, das geht nicht!” Doch, das geht. Wenn man die Menschen mitnimmt. Denn die Bürger wollen gehört werden, wollen partizipieren, wollen mitbestimmen und überzeugt werden. Mit den Leitlinien für Bürgerbeteiligung sind wir auf einem richtigen Weg. Eine von oben übergestülpte Verkehrswende wird scheitern. Aber wenn aus Partizipation, aus Diskussion, aus Beteiligung ein “kommunaler Verkehrswendekonsens” wird, dann ist es möglich, mehr Wuppertal zu wagen. Das bedeutet offen zu sein und Mobilitätsexperimente zu wagen, zu vermitteln, zu begleiten und zu erklären, zum Beispiel das Solidarische Bürgerticket, oder ein Umbau der B7 mit Umweltspuren, Testzonen für autonomen Fahrzeuge oder auch einer gründlich auf Chancen und Risiken geprüften Seilbahn. Und last but not least muss Wuppertal energisch alle technischen Verbesserungspotentiale bei allen Verkehrsträgern hinsichtlich der Nachhaltigkeit, Umweltfreundlichkeit und Verkehrssicherheit abrufen und vorantreiben.
Am Ende bedeutet “Mehr Verkehrswende in Wuppertal wagen” eine ökologisch verträglich, sozialverpflichtete, gerechte, ökonomisch effiziente Mobilität zu schaffen. Sind wir mutig genug?