Solidarisches Bürgerticket bei der Bürgerbeteiligung: Verwaltung manipuliert Abstimmung

Ich habe meine Idee des Solidarischen Bürgertickets natürlich auch dieses Jahr bei der aktuellen Bürgerbeteiligung zum Haushalt 2014/2015 in der Online-Plattform vorgestellt. (So gut es mit 1500 Zeichen, also 10 SMS, halt geht.) Heute morgen hat sich die Verwaltung zu Wort gemeldet und erklärt, die Idee wäre nicht durchführbar, da die gängige Rechtsprechung eine so große Erhöhung der Grundsteuer B nicht erlaube. Hier der komplette Kommentar der Verwaltung, vermutlich aus der Feder des Beauftragten für Bürgerbeteiligung der Kämmerei, Niklas Jacken:
“Liebe Teilnehmende,

der Grundsteuerhebesatz beträgt in Wuppertal
nach einer deutlichen Anhebung in 2013 bereits 620 %. Die jährlichen
Einnahmen sind im Haushalt mit rd. 72 Mio € prognostiziert. Die
skizzierten Beträge von über 100 Mio. € zusätzlicher Einnahme im Jahr
bedeuten eine Hebesatzerhöhung bei der Grundsteuer auf  1.500 v. H..
Bisher hat die Rechtsprechung lediglich einen Hebesatz von 800 % noch
für rechtlich zulässig erachtet.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Stadtverwaltung”

Natürlich kann und soll die Verwaltung helfend in die Bürgerbeteiligung eingreifen, wenn sie rechtliche Probleme o.ä. erkennt. Doch bei diesem Eintrag gibt es drei Dinge, die manipulativ sind. 
  1. Beiträge der Verwaltung kann man nicht direkt kommentieren. Das heißt, der Kommentar der Verwaltung ist oben festgepinnt, während mein Kommentar dazu unter allen anderen Kommentaren zu finden ist. Es ist so gewollt, erklärte mir die Moderation von Ontopica, dass es unmöglich ist, den Hinweis direkt zu kommentieren.
  2. Meine Bitte um weitere Informationen in meinem ersten Kommentar wurde nicht erfüllt und da inzwischen auch in der Verwaltung Feierabend ist, wird über das ganze Wochenende nichts mehr passieren. Den Lesern erscheint dieser Hinweis, dass die Durchführung rechtlich nicht möglich ist. Weitere Informationen dazu gibt es nicht, weder ein Aktenzeichen, noch ein urteilendes Gericht oder gar ein Link. Es ist kein Beitrag, der die Diskussion um Wissen vermehren möchte, sondern sie zum Schweigen bringen möchte. Wer ein Totschlag-Argument in freier Wildbahn sehen möchte, findet es hier. 
  3. Die Behauptung der Verwaltung, dass maximal ein Hebesatz von 800 % rechtlich zulässig ist, ist falsch. Ob aus Unwissen oder bewusster Irreführung werden hier falsche Behauptungen aufgestellt. Das kann man nur noch als Manipulation werten.

Zu Punkt 3 findet schon eine schnelle Recherche im Netz heraus, dass die rheinland-pfälzische Gemeinde Dierfeld (mit 8 Einwohnern) einen Hebesatz von  900 % anwendet. (Quelle: 1 (2010), Quelle 2 (2012), PDF) Sucht man dann weiter nach dieser “Rechtsprechung” findet sich innerhalb weniger Minuten ein Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 25. Oktober 2012, das gegen die Erhöhung der Grundsteuer B auf 825 % in der Gemeinde Selm (Kreis Unna) keine Einwände hat. Die Urteilsbegründung ist sehr aufschlussreich: 
“Der Gemeinde steht bei der Festlegung des
Grundsteuerhebesatzes ein weiter (kommunalpolitischer)
Entschließungsspielraum zu. Das Gericht prüft nur, ob die Gemeinde die
sich aus höherrangigem Recht ergebenden Grenzen dieses
Entschließungsspielraums willkürfrei eingehalten hat.
Höherrangiges
Recht schließt u.a. eine übermäßige oder gar erdrosselnde Belastung der
Grundsteuerpflichtigen aus. Erdrosselnd ist die Grundsteuerbelastung,
wenn sie allgemein und unter normalen Umständen zur Vernichtung der
Steuerquelle selbst führt. Unterhalb dieser Grenze ist eine
Grundsteuerbelastung übermäßig, wenn sie allgemein und unter normalen
Umständen in Bezug auf die Finanzierungsfunktion von Steuern auf der
einen und den besteuerten Gegenstand auf der anderen Seite außer
Verhältnis steht.
Höherrangiges Recht schließt auch
eine gleichheitswidrige Besteuerung aus. Gleichheitswidrig ist eine
Besteuerung, wenn der Satzungsgeber innerhalb seines
Zuständigkeitsbereichs ohne sachlichen Grund wesentlich Ungleiches
gleich bzw. wesentlich Gleiches ungleich behandelt. Grundsteuer A,
Grundsteuer B und Gewerbesteuer darf der Satzungsgeber als wesentlich
ungleich auch so behandeln. Hebesätze anderer Kommunen liegen außerhalb
des Zuständigkeitsbereichs des Satzungsgebers und binden ihn nicht.
Die
Gemeinde handelt willkürfrei, wenn sie bei ihrer eigenverantwortlichen
Abschätzung des Finanzbedarfs keine grob unsachlichen
Entschließungskriterien tragend werden lässt oder gar den zu
bestimmenden Hebesatz ohne jede Würdigung seiner Wirkung auf die
Steuerpflichtigen “greift”. Insofern hat der Satzungsgeber im Hinblick
auf den gewählten Grundsteuerhebesatz die Aufgabe, die tatsächlichen
Grundlagen der Besteuerung sorgfältig zu ermitteln und unter Abwägung
aller betroffenen Interessen einen Grundsteuerhebesatz zu bestimmen.”
Ak 5 K 1137/12, Quelle: http://openjur.de/u/562532.html

Wir halten fest: die Höhe der Grundsteuer B wird in diesem Urteil nicht maximal festgelegt, das fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichts. Es überprüft nur, ob die Höhe willkürfrei ist und höherrangiges Recht eingehalten wurde. Das heißt, die Besteuerung darf nicht übermäßig oder erdrosselnd sein. Dies wäre also bei der Einführung zu prüfen, allerdings muss klar gesagt werden, dass im Gegenzug Mobilität für die Betroffenen günstiger wird (wer jetzt bereits den ÖPNV nutzt, wird in der Mehrheit der Fälle finanziell profitieren), und das Leistungen, die jetzt bereits durch die Grundsteuer B erbracht werden, z.T. durch den Gewinn der WSW Energie AG und durch die Einsparungen im Haushalt durch weniger MIV finanziert werden können. Man muss also nicht von einem Aufschlag auf die aktuellen 620% ausgehen. Außerdem profitieren alle von weniger Lärm, Co2-Emissionen und einer höheren Lebensqualität.
Willkürfreiheit erreicht man, in dem der Rat (und nicht die Verwaltung!) die Interessen der Betroffenen sorgsam abwägt und dann seine Entscheidung nach sachlichen Entschließungskriterien trifft.

Der Klägerin ging es übrigens um den Grundsteuerbescheid von 562,65 €, also einer Summe von 46 € Monat. Das kann im Einzelfall eine belastende Summe sein, keine Frage. Aber es muss eine Mehrheit von Steuerpflichtigen betroffen sein. (Siehe 95 im Folgenden)

Als Ergänzung seien noch folgende Passagen der Urteilsbegründung zitiert:

“60 Auch besteht keine gesetzlich bestimmte Hebesatz-Höchstgrenze. Von der in § 26
GrStG vorgesehenen Möglichkeit zur Einführung einer (absoluten)
Hebesatz-Höchstgrenze hat der Landesgesetzgeber in Nordrhein-Westfalen
keinen Gebrauch gemacht.”

“77 Darüber hinaus wäre die Hebesatzfestsetzung selbst dann nicht
rechtswidrig, wenn einzelne Ausgabenansätze haushaltsrechtlich zu
beanstanden wären. Denn die Beklagte wäre auch dann aufgrund ihres
weiten Entschließungsspielraums nicht verpflichtet, die durch
entsprechende Kürzungen gewonnenen Einsparungen gerade auf das
Grundsteueraufkommen anzurechnen und die Grundsteuereinnahmen durch eine
Senkung der Hebesätze zu verringern. Insofern fehlt es bei den
allgemein zur Erzielung von Einnahmen erhobenen Steuern – im Unterschied
etwa zur Gebührenerhebung – bereits an einer im Abgabentatbestand
vorgegebenen Verknüpfung zwischen den Steuersätzen und den
Ausgabeansätzen.

 “81 Soweit vorgetragen wird, der Hebesatz sei schon deshalb rechtswidrig,
weil er über dem Bundesdurchschnitt von 440 v. H. bzw. dem derzeitigen
Höchstwert von 810 v. H. in Berlin liege, ergibt sich aus dieser
Relation zu anderen Hebesätzen kein Kriterium für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit des festgesetzten Hebesatzes.”

“95 Danach darf eine Steuer die Steuerpflichtigen nicht übermäßig belasten
und ihre Vermögensverhältnisse nicht grundlegend beeinträchtigen. Die
Steuer darf mithin in der Gesamtschau der Belastung aller Pflichtigen
keine erdrosselnde Wirkung haben. Eine derartige Erdrosselungswirkung
kann aber erst angenommen werden, wenn nicht nur ein einzelner
Steuerpflichtiger, sondern die Steuerpflichtigen ganz allgemein unter
normalen Umständen die Steuer nicht mehr aufbringen können.”

“97 Eine derartige Wirkung der auf dem erhöhten Hebesatz basierenden Steuer
ist hier indes nicht ersichtlich. Auch wenn vorliegend die Steuerbeträge
im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt wurden, stehen sie im
Verhältnis zum besteuerten Eigentumsgegenstand noch in keiner einen
Erdrosselungscharakter aufweisenden Relation und überschreiten nicht die
Schwelle zu einer Vernichtung der Steuerquelle selbst. Vielmehr werden
die anfallenden Steuern regelmäßig aus den Grundstückserträgen
erwirtschaftet werden können. Dies gilt sowohl im Falle der vermieteten
Objekte als auch bei selbstgenutzten Grundstücken, da insofern
wirtschaftlich gesehen die ersparten Aufwendungen für Wohnkosten als
Ertrag anzusetzen sind.”

Höchstwahrscheinlich wird es bei der Einführung des Solidarischen Bürgertickets zu Klagen gegen den erhöhten Grundsteuer B-Bescheid kommen und dann wird ein Gericht die Rechtmäßigkeit überprüfen. Wie es so schön heißt, ist man auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand. Doch dass die Verwaltung die Idee jetzt schon “verurteilt”, ohne eine ausreichende und offensichtlich falsche Begründung heranzuziehen, ist nicht in Ordnung. Wie vor Gericht muss man also fragen: 
Cui bono? Wem nützt es?

P.S. Trotzdem hat sich das Abstimmungsergebnis heute von 13:13 auf 21:14 geändert. Yeah! Wenn Du auch für das Solidarische Bürgerticket bist, stimme doch bitte dafür ab!