Wie Wuppertal zur Fahrradstadt werden kann…

… beschreibt das Wuppertal Institut in einem ausführlichen Projektbericht, der online verfügbar ist, wie der Talradler berichtet hat. Das Team um Projektleiterin Dr.-Ing. Susanne Böhler-Baedeker beschreibt hierin die aktuelle Situation des Fahrradverkehrs, analysiert die Probleme und gibt Handlungsempfehlungen zur Steigerung des Fahrradanteils am Verkehr. 
Das Fahrrad, so wird bereits in der Einleitung festgestellt, eignet sich besonders für Wege unter 5 km, die 61 % der innerstädtischen Wege ausmachen. Es ist im Betrieb emissionsfrei, geräuscharm und verbraucht wenig Fläche. Damit hilft es denn vorhandenen städtischen Raum besser zu nutzen und die Lebensqualität einer Stadt zu steigern. Darüber hinaus tragen Pedelecs zu einer größeren Akzeptanz und Attraktivität des Fahrrads in der Bevölkerung bei.

Die Ausgangslage

In Wuppertal beträgt der Anteil des Radverkehrs am Modal Split 1,5 % und ist damit besonders niedrig, wie der Vergleich mit Bochum (6 %) oder Dortmund (10 %) zeigt. Das kompletter Bild sieht so aus: 
  • Wuppertal: MIV: 58 %, ÖPNV: 25,5, Rad: 1,5 %, Fuß: 15 %
  • Bochum: MIV: 56 %, ÖPNV: 20 %, Rad: 6 %, Fuß: 18 %
  • Dortmund: MIV: 50 %, ÖPNV: 22 %, Rad: 10%, Fuß: 18 %
Vergleicht man die Entwicklung der letzten 10 Jahre, ist Bundesweit der Anteil des MIV (Motorisierter Individualverkehr) um 3 Prozentpunkte gesunken, während er in Wuppertal um 7 Prozentpunkte gestiegen ist. 
Die Zuständigkeit für den Radverkehr sind in Wuppertal unklar, wie der Projektbericht bemerkt: 
“Bei Planungen und Sanierungen im Straßennetz der Stadt gilt nach Angaben der interviewten Akteure aus Politik und Verwaltung das Gebot, die Belange des Radverkehrs zu berücksichtigen. Unklar blieb nach Durchführung der Interviews allerdings, welche Wirkung dieses Gebot de facto entfaltet und welche Personen und Institutionen auf seine Einhaltung achten. Während der Exkursion sind Straßenabschnitte und Kreuzungsbereiche aufgefallen, die im Rahmen der Konjunkturpakete etwa 2008/2009 saniert wurden, ohne dabei Infrastruktur für den Radverkehr bereit zu stellen oder das neue Verständnis der StVO umzusetzen, durch sinnvolle gemischte Führung aller Verkehrsmittel die Sicherheit insbesondere von Fahrradfahrern zu erhöhen.”
(S. 18)
Diese Analyse widerspricht der von dem SPD-Fraktionsvorsitzenden in der letzten Ratssitzung vorgebrachten Behauptung, die Verwaltung berücksichtige die Anliegen des Radverkehrs selbstständig. 
Die infrastrukturellen Voraussetzungen laden nicht zum Fahrradfahren ein, was die Talbewohner wohl nicht überraschen wird. Neben der Mittelgebirgslage mit Höhenunterschieden bis 150 m liegt das vor allem an dem nur als Stückwerk vorhandenen Radverkehrsanlagen, die keine durchgehende Verbindung aufweisen. Von den 454 Einbahnstraßen sind gerade einmal 10%  für den Radverkehr in beide Richtungen zugelassen. “Die Umsetzung der radverkehrsfreundlichen Gedanken der StVO etwa bei der Öffnung von Einbahnstraßen hat in Wuppertal bisher nicht stattgefunden.”
“Es fehlen an radverkehrsrelevanten Netzabschnitten Schutzstreifen, Radfahrstreifen oder baulich abgetrennte Radwege, sowie vorgezogene Aufstellflächen an Lichtsignalanlagen. Damit verbunden sind Komfort- und Sicherheitseinschränkungen für Radfahrer, die gezwungen sind, entweder Umwege in Kauf zu nehmen oder die Straße gemeinsam mit dem motorisierten Verkehr zu nutzen, der in einigen Streckenabschnitten Geschwindigkeiten von mehr als 50 km/h erreicht.”
(S. 20)
Auf den Exkursionen machte das Team des Wuppertal Instituts weitere Beobachtungen:
  • Viele Streckenabschnitte gewährleisten keinen seitlichen Sicherheitsabstand
  • An den Elberfelder Knotenpunkten fehlt eine klar ersichtliche Radverkehrsführung und die Räumzeiten an den Ampeln sind zu knapp bemessen.
  • Die Steigungen sind für Linksabbieger und Spurwechsler besonderer Herausforderungen
  • Die geringe Querschnitt vieler Straßen führt zu mangelndem Sicherheitsabstand bei Überholvorgängen des MIV
  • Fahrradfahrer müssen durch fehlende Freigabe der Einbahnstraßen und nicht barrierefreie Treppen häufig Umwege in Kauf nehmen
Erschwerend kommt hinzu, dass durch die prekäre Haushaltssituation kaum Geld für Radverkehrsprojekte bereit steht. 

Handlungsfelder

Das Wuppertal Institut hat fünf Handlungsfelder ausgemacht, mit denen man Wuppertal zur Fahrradstadt machen kann: 
  • Die Potentiale der Nordbahntrasse
  • Die Entwicklung des Hauptroutennetzes
  • Vereinfachung des alltäglichen Radfahrens
  • Festlegung von Vorgehen und Prioritäten
  • Verbesserung der Finanziellen Grundlagen

Die Punkte im einzelnen:

Die Nordbahntrasse schafft eine Öffentlichkeit für den Radverkehr, die genutzt werden kann, um z.B. für die Fahrradmitnahme in den Bussen der WSW zu werden. Außerdem kann die Nordbahntrasse als leistungsfähige Ost-West-Verbindung genutzt werden, wenn sie entsprechen angebunden wird und Einbahnstraßen freigegeben werden. Zudem sollte sie für den Freizeitverkehr an die regionalen Radrouten angeschlossen werden, die das Land NRW in den nächsten Jahren erneuern wird. Weiterhin kann man die Schulen entlang der Nordbahntrasse mit Fahrradabstellplätzen ausrüsten. Ebenso kann man die anliegenden Unternehmen ansprechen und einbinden 
Das Hauptroutennetz muss geschlossen und ausgebaut werden, denn von ihm geht jedes Wachstum  aus. Durch die Anlage von Schutzstreifen soll es vor allem erkennbar sein, außerdem müssen alle Straßenflächen auf ihre Potentiale für den alltäglichen Radverkehr untersucht werden.
Die Novelle der StVO vom 1.April 2013 sieht vor, dass im Grundsatz alle Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung zu öffnen sind. Darum müssen sich Politik und Verwaltung zügig und unkompliziert kümmern. Darüber hinaus sollen bei jeder Baumaßnahme die optimale Lösung für Radfahrer gefunden werden, auch zu Lasten anderer Verkehrsteilnehmer. Die im Moment bei Baumaßnahmen angebrachten Angebotsstreifen lassen sich ohne großen Aufwand auch auf anderen Abschnitten einsetzen. Weiterhin sollten die Räumzeiten für Radfahrer angepasste werden und besonders geschützte Abstellmöglichkeiten für hochwertige Fahrräder und Pedelecs geschaffen werden, z.B. in Parkhäusern. 
Um den Radverkehr zu Fördern bedarf es aber auch den dokumentierten und artikulierten Willen der politischen Parteien, z.B. in einer Presseerklärung aller Fraktionen, der Verabschiedung eines Verkehrspolitischen Leitbilds und einer Ausweitung der Arbeit des Runden Tisches. 
Angesichts der prekären Haushaltslage der Stadt sollte man sich – neben einer kritischen Überprüfung der Etats – um die Einwerbung externer Mittel kümmern. 

Roadmap

Um diese Handlungsfelder zu nutzen, schlägt das Wuppertal Institut eine recht detaillierte Roadmap vor. Die zentralen Punkte lauten hier: 
  • Ein klares Bekenntnis der öffentlichen Hand
  • Interne Veränderung der Grundhaltung zum Fahrradverkehr
  • Entwicklung einer Strategie von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft
  • Radverkehrsförderung sollte im Sinne des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) als System erfolgen
  • Nutzung von bürgerschaftlichem Engagement, Crowdfounding und externer Fördergelder
  • Realisierung des Hauptroutennetzes
Nachdem dieses gewährleistet ist, kann man mit einer gezielten fünfjährigen Startphase erste Erfolge erzielen und eine Aufbruchstimmung erzeugen. Hierfür sollen jährlich mindestens 1 Million Euro und eine Vollzeitstelle in der Verwaltung zur Verfügung stehen. Für die sich anschließende Phase schlägt das Wuppertal Institut weitere Maßnahmen vor. 
Mittelfristig hält das Wuppertal Institut einen Radverkehrsanteil von 10% (sic!) in Wuppertal für realistisch.