Ein Solidarisches Bürgerticket für den Wuppertaler Nahverkehr

Die Problemlage:
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Wuppertal ist eine reiche
Stadt – nämlich reich an Problemen. Das größte ist derzeit die
desolate Haushaltslage, die zwar durch den Stärkungspakt
Stadtfinanzen eine kleine Perspektive bekommen hat, die aber nun
durch die neue Berechnung der Gelder wieder zu verschwinden droht.
Ein anderes Problem sind derzeit die Stadtwerke, die WSW. Die 1948
aus dem Versorgungsbetrieb (Gas, Strom, Wasser) und der Wuppertaler
Bahnen AG (Wubag) gegründeten Wuppertaler Stadtwerke sorgen in einem
sogenannten Querverbund dafür, dass die Energiegewinne das Defizit
des ÖPNV ausgleichen. Doch auch hier hat sich in den letzten Jahren
einiges getan, die Liberalisierung des Energiemarkts führt dazu,
dass Unternehmen und Bürger den Anbieter frei wählen können –
und nach den Gesetzen der Marktwirtschaft wählen sie das beste
Angebot, das die WSW immer weniger fähig sind anzubieten. Unter
anderem deswegen hat der Stadtrat im September 2012 die ersten
Einschnitte im Angebot des ÖPNV vorgenommen, um das Defizit zu
senken. 2010 lag das Defizit des ÖPNV bei 138,29
€ pro Kopf. 
Doch nicht nur der ÖPNV belastet die Finanzen (in
diesem Fall eines Unternehmen im Besitz) der Stadt Wuppertal. Auch
der Autoverkehr löchert
das Stadtsäckel, allerdings ermittelt die Verwaltung die Zahlen
hierfür nicht. So bleiben nur Schätzungen, wie die der
Studie der International
Council for Local Environmental Inititatives
in Zusammenarbeit mit den
Städten
Bremen, Stuttgart und Dresden. Demnach liegen die Kosten für den
Autoverkehr in einer deutschen Kommune durchschnittlich bei 145,5 € pro Kopf (2005). Die
Stadt Wuppertal betreibt also derzeit zwei defizitäre
Verkehrssysteme und das Beschneiden des ÖPNV wird nur zu einer
Kostensteigerung des Autoverkehrs führen. 
Eine rein monetäre Betrachtung der Defizite missachtet dabei den jeweiligen
Nutzen eines Verkehrsträgers. Für
die Stadt Köln kommt eine
Studie zu dem Ergebnis, dass die Kölner Verkehrsbetriebe aus jedem
investierten Euro einen Nutzen von 5,30 € generieren. Ein
beeindruckender Kosten-Nutzen-Faktor. Für Wuppertal existiert eine
solche Untersuchung nicht.
Die
derzeitige Situation im Nahverkehr sorgt für weitere Probleme. Das
VRR-Sozialticket in Höhe von 30 € ist immer noch zu teuer, um von
seiner Zielgruppe genutzt zu werden, denn im Hartz-IV-Regelsatz sind
für Mobilität gerade einmal 22 € vorgesehen. Die Sparorgie im
Nahverkehr sorgt auch dafür, dass WSW mobil GmbH kaum Nachwuchs
findet, da sie ihre Angestellten für eine verantwortungsvolle
Aufgabe und Wochenend- und Schichtdienst schlecht bezahlt. Da nicht
nur die WSW unter Fahrermangel und einem hohen Krankenstand leiden,
stehen sie auch auf dem Arbeitsmarkt in einem heftigen
Konkurrenzkampf und ist dabei ihn zu verlieren. Und
zu guter Letzt ist da auch noch allgemeine Veränderung, die die
Verkehrs- infrastruktur
derzeit im Rahmen veränderter ökologischer, ökonomischer und
gesellschaftlicher Rahmenbedingungen durchmacht. Überall in
Deutschland werden Straßenbahnen ausgebaut oder neu eingerichtet
(außer in Hamburg), junge Leute kaufen sich immer seltener ein
eigenes Auto und nicht wenige Wissenschaftler sind der Meinung, das
wir den Höhepunkt der Erdöl-Förderung (Peak-Oil) bereits hinter
uns haben. Der
Flächenverbrauch, Lärmemissionen
und andere negative
Umwelteinflüsse durch das Auto werden nicht mehr uneingeschränkt
von den Bürgern als akzeptabel empfunden. Ebenso
wird das Stadtbild attraktiver Städte in Zukunft anders aussehen,
als wir es heute gewöhnt sind. Wuppertal darf sich hier nicht
abhängen lassen, sondern sollte idealerweise Vorreiter sein.
Die Lösung:
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Wir brauchen eine neue
Form der Finanzierung und da das marktwirtschaftliches Modell sich
nicht bewährt hat, ist es an der Zeit, dass sich ein Solidarmodell
beweisen kann. Der ÖPNV kommt allen Bürgern der Stadt zu Gute,
denjenigen die ihn nutzen und denjenigen, die von seinen Auswirkungen
profitieren. Deswegen ist es an der Zeit für den “Fahrscheinlosen
Nahverkehr”, auch “kostenloser Nahverkehr” oder “Bürgerticket” genannt. Hinter diesen etwas sperrigen Begriffen verbirgt sich
nichts anderes als die Idee, dass alle Bürger, Unternehmen und
Hotels zusammen die Kosten des ÖPNV tragen, unabhängig von der
Häufigkeit der Nutzung. Damit dies gleichzeitig die unterschiedliche
Leistungsfähigkeit der Bürger berücksichtigt, bietet sich hierfür
eine Erhöhung der Grundsteuer B an, schließlich sucht sich jeder
Mieter seine Wohnung oder sein Haus für gewöhnlich nach der Größe
seines Geldbeutels aus.
Die Rechnung:
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Die Ausgaben der WSW
mobil GmbH betrugen 2010 133.181.000 €. (Geschäftsbericht
2010, S.72)
Die Grundsteuer-B
Einnahmen der Stadt Wuppertal betrugen 2010 bei einem Hebesatz von
490% 56.110.000 €. (Mittlerweile ist der Hebesatz auf 
600 % für 2013 angehoben worden.) 
Möchte man nun
alle Ausgaben der WSW mobil GmbH durch eine Erhöhung der Grundsteuer
B decken und im Gegenzug den Nahverkehr fahrscheinlos machen,
braucht man Grundsteuer B-Einnahmen von 56.110.000 € +
133.181.000 € = 189.291.000 €.
Das bedeutet eine
Steigerung von 237,36 %. Der Hebesatz müsste also auf 1161,3%
angehoben werden. Das sind alles erst einmal gewaltige Zahlen. Also
versuchen wir das ganze in die Lebenswirklichkeit umzusetzen. 
  • Beispiel 1: Eine 50
    m² Wohnung in der Elberfelder Südstadt oberhalb des Steinbecker
    Bahnhofs: Im Jahr 2010 fielen 82 € Grundsteuer B an. Eine
    Steigerung von 237,36 % brächte eine Erhöhung auf 194 €. Das
    wären rund 16 € im Monat. Bei einem Zwei-Personen-Haushalt
    sind das 8 € pro Kopf.
  • Beispiel 2: Eine 
    61 m² Wohnung nahe der Universität: Im Jahr 2010 fielen 85 €
    Grundsteuer B an. Eine Steigerung von 237,36 % brächte eine
    Erhöhung auf 201 €. Das wären rund 16 € im Monat. Bei
    einem Zwei-Personen-Haushalt sind das 8 € pro Kopf.
  • Beispiel 3: Eine 91
    m² Wohnung in der Nähe des Klever Platzes, obere Elberfelder
    Südstadt. Im Jahr 2010 fielen 188 € Grundsteuer B an. Eine
    Steigerung von 237,36 % brächte eine Erhöhung auf 445 €. Das
    wären rund 37 € im Monat. Bei einem Zwei-Personen-Haushalt
    18,50 € pro Kopf.
  • Beispiel 4: Ein Haus
    mit Grundstück im Süden Cronenbergs. Im Jahr 2010 fielen 457 €
    Grundsteuer B an. Eine Steigerung von 237,36 % brächte eine
    Erhöhung auf 1083 €. Das wären rund 90 € im Monat. Bei
    einem Zwei-Personen-Haushalt sind das 45 € pro Kopf.
Der VDV
rechnet für die Einführung des Solidarmodells mit durchschnittlich mindestens 30% mehr Fahrgästen. Das
bedeutet natürlich nicht mehr Ausgaben in der gleichen Höhe, da ja
zum Beispiel die Kosten für das Ticketing und die Kontrolleure
wegfallen, aber nehmen wir es der Einfachheit halber mal an. 30% von
133.181.000 € (Ausgaben 2010) sind 39.954.300 €,
sodass wir auf 173.145.300 € kommen.
173.145.300 €
zusätzliche Kosten + 56.110.000 € Grundsteuer B = 229.245.300 €
Dies bedeutet eine
Steigerung von 308,56 %. 
Bei einer Steigerung
von 308,56 % würde die Grundsteuer B für die
  • Beispielwohnung 1
    auf  253,02 € steigen, also 21,09 € im Monat.
  • Beispielwohnung 2
    auf  261,80 € steigen, also 21,81 € im Monat.
  • Beispielwohnung 3
    auf  579,04 € steigen, also 48,25 € im Monat.
  • Beispielwohnung 4 auf 1407,56 €
    steigen, also 117,30 € im Monat.
Die Auswirkungen
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Was sind die Auswirkungen
der Umstellung des ÖPNV vom defizitären marktwirtschaftlichen
Modell auf eine Solidarmodell? Das Wuppertal-Institut urteilt in
seiner Studie „Zukunftsfähige Stadtentwicklung: Low Carbon City Wuppertal 2050:“

“Angenommene Wirkung

Das Bürgerticket [so wird in
der Studie das Solidarmodell bezeichnet] wird seine Wirkung
insbesondere bei denjenigen Bevölkerungsgruppen entfalten, die im
Referenzfall über kein Ticket-Abonnement verfügen. Dies betrifft
die Arbeits-, Besorgungs- und Freizeitwege, während bei den
Ausbildungswegen der ÖPNV ohnehin einen hohen Anteil am Modal Split
hat. Es wird weiterhin angenommen, dass sich durch das kostenlose
Angebot mehr Nachfrage einstellt und damit sukzessive Taktungen und
die Netzwirkung des ÖPNV verbessert werden können, was wiederum zu
höherer Nachfrage führt. Im Jahr 2050 wird bei den Arbeitswegen der
Anteil der Busse, S-Bahnen und der Schwebebahn ein Zuwachs von 20
Prozentpunkten angenommen. Bei den Besorgungs- und Freizeitwegen
werden plus 5 bzw. plus 18 Prozentpunkte in 2050 und eine
entsprechende Abnahme des PKW-Verkehrs angenommen. Das Bürgerticket
wird für Freizeitwege ab 2040 besonders attraktiv, da für die
2030er Jahre seine bundesweite Einführung angenommen wird.”
(S.98)

Außerdem urteilen die Wissenschaftler:

“Ein Wuppertaler
Bürgerticket hätte das Potenzial zum bundesweit beachteten
Leuchtturmprojekt und könnte Ausgangspunkt für eine schrittweise
Ausweitung sein.”(S.96)

“Das Bürgerticket etwa
kann nicht nur eine deutliche Klimaschutzwirkung entfalten, sondern
auch zu sozialer Teilhabe beitragen. Damit
würde die Lebensqualität Wuppertal auch im Vergleich anderer Städte
steigen.”(S.109)

Finanzielle
Auswirkungen:
Die
finanziellen Auswirkungen auf jeden einzelnen lassen sich bedingt
durch die leistungsabhängige Besteuerung nicht ermitteln.
Grundsätzlich wird jeder nur im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit
belastet, Paare und Familien, bzw. WGs werden bevorzugt,
Singles mit eigener Wohnung benachteiligt. Wer sich bisher nicht
einmal das Sozialticket leisten kann, wird ebenfalls vom
Fahrscheinlosen Nahverkehr profitieren, denn der Staat zahlt mit den
Wohnkosten auch seinen Solidarbeitrag. Wer bisher den ÖPNV nutzt,
kann höchstwahrscheinlich sparen, wer den ÖPNV nicht nutzt, wird
stärker belastet. Dabei geschieht die Finanzierung sehr einfach und
unbürokratisch – der Nahverkehr ist (für Mieter) in den
Nebenkosten enthalten, für Hauseigentümer im Grundsteuerbescheid.
Wohnen in Wuppertal – Nahverkehr inklusive.
Die
WSW erhalten gleichzeitig finanzielle Unabhängigkeit und können den
Nahverkehr im Angebot und im Service verbessern, die Energiesparte
kann entweder die Preise für Gas/Strom/Wasser senken oder die
Gewinne aus diesem Geschäft in den Haushalt einbringen – das wären
ungefähr 40 – 50 Millionen Euro. Wenn der Nahverkehr durch diese
Maßnahme auch von Autofahrern stärker genutzt wird, verringert sich
auch die Belastung des Stadtsäckels durch die Vorhaltung der
Infrastruktur für den MIV.
Soziale
Auswirkungen:
Hier
liegen die Vorteile klar auf der Hand. Der Fahrscheinlose Nahverkehr
ermöglicht allen Gesellschaftsschichten Mobilität und damit
Teilhabe am Leben. Ebenso wichtig: Die WSW können ihrem Personal
einen angemessen Lohn zahlen, ihre Motivation verbessern und die
Personaldecke so gestalten, dass zufriedene Mitarbeiter gute Arbeit
leisten.
Ökologische
Auswirkungen:
Der
ÖPNV ist umweltfreundlicher als der Autoverkehr. Der
Flächenverbrauch ist geringer, die CO2- und Lärm-Emissionen sind es
ebenso. Darüber hinaus verschafft der Fahrscheinlose Nahverkehr –
wenn die Politik es will – die Möglichkeit, die Verkehrsmittel
umweltfreundlicher zu gestalten, z.B. durch den Einsatz von O-Bussen
oder gar einer Rückkehr der Straßenbahn.
Auswirkungen
auf das Stadtbild:
Was
wir mit dem Raum zwischen zwei Häusern
anfangen, ist Teil der Attraktivität und
Lebensqualität des Stadtbildes. In Wuppertal gehören 80-90% dieses Raumes dem Auto,
sei es als Parkfläche oder Straßenraum. Ein höherer ÖPNV-Anteil
und ein geringerer Auto-Anteil ermöglicht neu darüber nachzudenken,
was wir mit diesem Raum anfangen und wie wir ihn aufteilen und
gestalten. Ganz markant stellt sich diese Frage natürlich an den
großen „Asphaltwüsten“ wie dem Döppersberg, dem Alten Markt,
dem Robert-Daum-Platz, etc. Man könnte die Stadt grüner machen, dem
Radverkehr mehr Platz einräumen und natürlich auch die Fußgänger
nicht länger so hart an den Rand des Verkehrsraums drängen. Es wäre
mehr Platz für Straßencafés da, aus Parkplätzen könnten
Spielplätze werden und am Ende könnten auch Stadtviertel
profitieren, die heute durch ihre Lage unattraktiv sind. Wie auch
immer die Bürger sich eine attraktive Stadt vorstellen, das Solidarmodell macht es möglich, dass man die Mittel
besitzt, um die Ideen der Bürgerschaft umzusetzen. Die Stadt der
Schwebebahn könnte wieder eine Stadt werden, auf die andere neidisch
sind.
Offene Fragen
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Neben der Frage, ob sich im
Stadtrat eine Mehrheit für diese Idee findet, gibt es noch andere
offene Fragen, die geklärt werden müssen:
1. In welchem Umfang werden
die Menschen und Gäste dieser Stadt den Fahrscheinlosen Nahverkehr
nutzen und mit welchen zusätzlichen Kosten ist konkret zu rechnen?
2. Inwiefern kann der
Fahrscheinlose Nahverkehr in den VRR integriert werden, oder müssen
die WSW aus dem Verband aussteigen? Wie werden die S-Bahnen und der Regionalverkehr im Gebiet
der Stadt Wuppertal integriert oder ist das nicht möglich?