Der Oberbürgermeister zur Evaluation der Bürgerbeteiligung

Am gestrigen Abend traf die Antwort des Oberbürgermeisters zu meiner Anfrage zur fehlenden Evaluation der Bürgerbeteiligung ein.

“Sehr geehrter Herr Kirschbaum,

ich danke für Ihre Nachfrage zur Bürgerbeteiligung und weiß, dass Sie sich weiterhin mit viel Engagement in Ihrem Blog mit diesem Thema befassen. Mir gefällt, dass Sie hier nicht lockerlassen und der Sache bis in die Details auf den Grund gehen, denn damit geben Sie kommunalpolitische Impulse, die ich mir manchmal in noch umfassenderer Form von den Bürgerinnen und Bürgern wünschen würde.

Aber zu Sache: Man muss sicherlich nicht lange darum herumreden, dass in der Vorlage, die in den Finanzausschuss zur Entgegennahme ohne Beschluss eingebracht wurde, nicht um das Ergebnis einer „Evaluation“ handelt, die auf Basis einer wissenschaftlichen Analyse erfolgt wäre. Vielmehr handelt es sich um eine Auswertung von Daten und die Darstellung derselben. Ich meine allerdings, dass die Vorlage gleichwohl Aufschluss bietet und mit dem Blick nach vorne – Stichwort Workshop – deutlich wird, dass die bisherigen Formen der Bürgerbeteiligung sicherlich weitreichender Verbesserungen bedürfen.

Ich denke, dass hier auch grundsätzliche Einigkeit bei den Ratsfraktionen und der Verwaltung besteht, dass die Bürgerbeteiligung sehr großes Potenzial besitzt, wenn sie sinnvoll angewendet wird. Meines Erachtens ist beispielsweise die Informationsphase des diesjährigen Verfahrens durchaus positiv zu werten. So habe ich in den zitierten Veranstaltungen bei den einladenden (Bürger-)Vereinen rund 1.000 Bürgerinnen und Bürger erreicht und die vorgesehenen Maßnahmen der Haushaltssanierung erläutert. Auch waren die öffentlichen Veranstaltungen nicht so schlecht beworben, wie nun teilweise der Eindruck erweckt wird. Die Teilnehmerzahlen sind gleichwohl wenn nicht enttäuschend, so doch deutlich ausbaufähig. Hier sind wir dann ebenso gefordert, weitere Ideen zu entwickeln.

Das Hauptaugenmerk werden wir bei der anstehenden Optimierung sicherlich auf die Beteiligungsphase – hier insbesondere den Einsatz eines Internetforums, beziehungsweise die Möglichkeiten digitaler Partizipation – legen müssen. Die Nutzung dieses Instruments kann nur hilfreich sein, wenn Inhalte analysiert, bewertet und priorisiert werden und schließlich in Vorschläge zum weiteren Umgang damit münden.

Da ganz offenbar ein allseitiger Wunsch festzustellen ist, die Bürgerbeteiligung demnächst inhaltsvoller und aufschlussreicher zu etablieren, bin ich sehr optimistisch, dass uns in dem geplanten Workshop und den begleitenden Diskussionen gemeinsam gute Lösungen einfallen werden. Die Projektarbeit der Fachhochschülerinnen und –schüler, die ich mit Interesse gelesen habe, wird dazu ebenfalls einige Impulse und bedenkenswerte Aspekte beisteuern können.

In diesem Sinne empfehle ich noch einmal, den Blick nun nach vorne zu richten und die Kräfte zu bündeln, um miteinander ein tragfähiges Bürgerbeteiligungsverfahren für den Haushalt 2014/2015 zu entwickeln.

Ich würde mich sehr freuen, wenn auch Sie sich dann mit Ihren Erfahrungen und Ideen in den Prozess einbinden würden und sende

freundliche Grüße
Ihr
Peter Jung”

Mein Antwort darauf:

“Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

ich danke Ihnen für Ihre ausführliche Antwort und möchte auch zu einigen Punkten ein paar Anmerkungen machen.
Sie sind erfreut über meine “kommunalpolitischen Impulse”, ich bin enttäuscht und deprimiert über die Art, wie im Stadtrat Kommunalpolitik gemacht wird. Ich denke, ich bin da nicht der einzige. Siehe dazu zum Beispiel den Tweet von @gallenkamp aus der letzten Ratssitzung.

“Stadtratssitzung in Wuppertal scheint zum großen Teil daraus zu bestehen, sich gegenseitig in die Pfanne zu hauen.

Die Vorgänge zur Kürzung des ÖPNV-Angebots oder auch der “Schneesteuer” laden die Bürger nicht wirklich ein, Ihren Teil zur Politik beizutragen. Wenn man sich die Hetze ansieht, mit der die ÖPNV-Kürzungen durch den Stadtrat geprügelt wurden, bleibt da für Bürger wie für Stadtverordnete nicht viel Zeit sich damit eingehend zu befassen, ein Urteil zu fällen und sich zu beteiligen. Und die Debatte darüber im Stadtrat, die ich vor Ort verfolgt habe, lässt in mir rege Zweifel darüber wachsen, ob bürgerliches Engagement überhaupt gewünscht wird. Die Maßnahmen der WSW wurden ohne eine Diskussion, die in die Einzelheiten ging, verabschiedet. Es blieb den Stadtverordneten in meinen Augen zu wenig Zeit und es standen zu wenig Informationen zu den einzelnen Linien zur Verfügung, um inhaltlich zielführend zu diskutieren.
An meinem Sitzplatz kam die Argumentation der CDU/SPD-Kooperation folgendermaßen an: Die WSW haben das geprüft und deswegen beschließen wir das. Dazu kam ein sehr überheblicher Tonfall. Ich will gar nicht bestreiten, dass eine Überprüfung der Linien Einsparpotenzial bergen kann, aber wenn der Stadtdirektor Dr. Slawig und anschließend die Fraktionschefs von SPD und CDU behaupten, dass nur Fahrten gestrichen werden, die 0-4 Fahrgäste im Durchschnitt haben und ich am Tag zuvor am Sonntag mit einem CE65 gefahren bin, der am Hahnerberg so voll war, dass ich erst in Cronenberg einen Sitzplatz bekommen habe, fehlt mir jegliches Verständnis. Ich will den Fraktionen von SPD und CDU nicht den Vorwurf machen, das beschlossen zu haben (auch wenn ich es für falsch halte), sondern dass sie es ohne eigene Argumentation, ohne es zu erklären, beschlossen haben. Wer so diskutiert, lädt nicht wirklich zur einer Bürgerbeteiligung, egal auf welchem Weg ein. Das ist “Basta-Politik”.

Aber zum Thema Bürgerbeteiligung: Ich finde es befremdlich, dass Sie, als Chef der Wuppertaler Verwaltung, erst eine Evaluation “nach den Sommerferien” (bzw. die Ausführung des Ratsbeschlusses) versprechen und dann recht freimütig zugeben, dass daraus (und damit der zeitigen Erfüllung des Ratsbeschlusses) nichts geworden ist. Ist es Ihnen nicht wichtig?
Können wir es uns leisten a) Bürgerbeteiligung nur für den Haushalt in Betracht zu ziehen und b) die Auswertung so lange hinaus zuschieben? Mir wäre es lieber, man würde die Probleme jetzt angehen, wo die Erinnerung noch frisch ist. Ich halte es nicht für sinnvoll, wenn wir nach vorne schauen und “vorne” die gleichen Fehler noch einmal machen.
Auch die “grundsätzliche Einigkeit bei den Ratsfraktionen und der Verwaltung” über das Potential der Bürgerbeteiligung kann ich nicht erkennen. Wenn man sich die Stellungnahmen der Verwaltung sowie von SPD und CDU in der Projektarbeit (meine Analyse dazu findet sich hier) ansieht, ist das zu bezweifeln. Wer der Bürgerbeteiligung die Entwicklung von sinnhaften, tragkräftigen Konzepten zum Haushalt zutraut, sollte auch bereit sein, dass nötige Geld dafür auszugeben. Meine Erfahrung mit dem Online-Forum und der Diskussion vor Ort zeigt, dass die anwesenden Bürger durchaus bereit waren, schmerzhafte Schritte ernsthaft zu diskutieren, sei es eine Grundsteuererhöhung für den Fahrscheinlosen Nahverkehr oder auch die Abschaffung des Orchesters. Dinge, die in den Fraktionen vielleicht als “politisch nicht durchsetzbar” angesehen werden, die aber mit einer Bürgerbeteiligung durchsetzbar werden.

Doch diese Vertrauen scheint mir nicht gegeben, so wird SPD-Geschäftsführer Ulf Klebert so zitiert:

“Dennoch gäbe es auf der Ebene der Kommunalpolitik oftmals die
Problematik, dass die Vorschläge meistens nicht machbar seien und
aufgrund dieser Tatsache einen gewissen Mangel an Qualität haben.”(S.76)

Und Ihr Parteikollege Herr Mertins wird wie folgt wiedergegeben:

“Auch eine
Beteiligung am Haushalt sei immer schon möglich gewesen. Deshalb sei es
eher fraglich, ob mit einem großen Aufwand überhaupt neue Formen der
Bürgerbeteiligung entwickelt werden müssen. Eine Weiterentwicklung der
Formen der Bürgerbeteiligung sei jedoch unabdingbar.” (S.74)

Großes Vertrauen in die Bürgerbeteiligung kann ich da leider nicht feststellen.
Die Informationsveranstaltungen, das kann ich Ihnen bestätigen, fand ich sehr gut, besonders der Vortrag von Dr. Slawig in der Färberei erläuterte Planung und Probleme sehr anschaulich. Aber: Wissen Sie eigentlich, welche Vorschläge damals von der Bürgerschaft gemacht worden sind?

Ich würde mich freuen, wenn sich Ihre Worte im Frühjahr bestätigen und der Workshop wirklich in der Lage ist, eine gute, anwendbare Bürgerbeteiligung zu entwickeln, die auch im Rat ihren Einfluss haben wird. Allerdings fehlt mir momentan ein wenig der Glaube daran, dass Ihren Worten Taten folgen werden.

Im Übrigen möchte ich Sie noch auf das Projekt Essen 2030 hinwiesen, in dem per Bürgerbeteiligung die Entwicklung der Stadt Essen geplant wird. Ich würde mir so etwas auch für Wuppertal wünschen, eine von allen interessierten Bürgern erstellte Vision, wie diese einzigartige Stadt in 18 Jahren aussehen kann und wie wir das hinbekommen.

Mit freundlichen Grüßen
Jan Niko Kirschbaum”