Auf ein Wort: Die Lüge vom Fahrgastrückgang

Gerade erreichte mich die aktuelle Kolumne “Auf ein Wort” unseres Oberbürgermeisters Peter Jung, in dem die “Fahrplananpassung” der WSW, die am 17.September in aller Eile, bevor es jemand merkt, in Verkehrsausschuss und Rat durchgepaukt werden soll, begründet wird. Dort heißt es:

“Allerdings – und dies ist auch unbestritten, dieses Nahverkehrssystem
verursacht erhebliche Kosten, die wir letztlich alle zu bezahlen haben.
Jetzt allerdings ist es an der Zeit, dieses System an die sich in
den vergangenen rund 20 Jahren zu verzeichnenden Entwicklungen
anzupassen. Denn mit den rückläufigen Einwohnerzahlen, die wir leider zu
verzeichnen haben, ist auch die Zahl der Fahrgäste gesunken. Dies führt
letztlich dazu, dass bei bestimmten Linien und zu bestimmten Zeiten
Busse praktisch leer sind.”


Es soll an dieser Stelle gar nicht bestritten werden, dass es Anpassungsbedarf gibt. Aber die Begründung ist unhaltbar. Unser Oberbürgermeister begründet die Einstellung von Linien, bzw. Linienästen und Taktstreckungen mit einem den Einwohnerverlust begleitenden Verlust an Fahrgästen. Das ist falsch.

Fahrgäste der WSW in den letzten 20 Jahren:

1992:  82 Millionen (WZ vom 2.Juni 1994)
1998:  84,2 Millionen (Quelle)
2003:  88,2 Millionen (Geschäftsbericht 2004, S.55)
2006:  90,9 Millionen (Pressemeldung vom 09-02-2006) (soviele wie  1959)
2007:  91,7 Millionen  (Geschäftsbericht 2007, S.15)
2011:  89,9 Millionen (Pressemitteilung vom 25-06-2012)

Setzt man die steigenden Fahrgastzahlen ins Verhältnis zu den Einwohnerzahlen, so erhält man folgendes Bild:

1992: 388.102
1998: 372.218
2003: 362.137
2006: 358.330
2010: 349.721

Während also seit 1992 die Einwohnerzahl um 38.381 Bürger sank, stieg die Anzahl der Fahrgäste um 7,9 Millionen und erreicht 2006 sogar 90 Millionen, eine Steigerung von 8 Millionen.

Auch das “Handlungsprogramm Demografischer Wandel. Strategien zum Umgang mit den demografischen Herausforderungen” (PDF) vom Ressort 101 – Stadtentwicklung und Städtebau aus dem Jahr 2010 erkennt:

“Im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) muss der Bevölkerungsrückgang nicht unbedingt mit einer Reduzierung der ÖPNV-Nachfrage einhergehen. Verändertes Kundenverhalten bzw. eine veränderte Siedlungspolitik können allerdings Veränderungen der Angebotsstrukturen im ÖPNV erfordern. Ein gut ausgebauter, hochwertiger ÖPNV wie in Wuppertal ist ein wichtiger Standortfaktor und kann dazu beitragen, Abwanderungstendenzen zu verringern. Bereits in den letzten Jahren war die Bevölkerungsentwicklung in Wuppertal rückläufig, die Fahrgastzahlen der Wuppertaler Stadtwerke (WSW) nahmen jedoch zu. In Teilen wird sogar die Auslastungsgrenze in den Spitzenzeiten erreicht. Ziel der WSW ist es, durch eine zusätzliche Verkehrsverlagerung von Wegen hin zum ÖPNV den derzeitigen hohen ÖPNV-Anteil an der Verkehrsmittelwahl (Modal Split) zu halten bzw. noch zu verbessern.
Der Rückgang der Schülerinnen- und Schülerzahlen kann zu einer Entlastung des ÖPNV in den Spitzenzeiten beitragen. Parallele Entwicklungen im Schulbereich, wie z.B. die Konzentration von Schulstandorten oder die freie Wahl der Grundschule können jedoch veränderte ÖPNV-Angebote erfordern, die den Bedarf an ÖPNV-Fahrleistungen nicht verringern, sondern möglicherweise sogar erhöhen.
Durch den höheren Anteil von älteren Menschen mit entsprechenden Anforderungen an den ÖPNV (z.B. Fahrkomfort, Sicherheit, Barrierefreiheit, keine Angsträume) kommt der Kundengruppe der Seniorinnen und Senioren immer mehr Bedeutung zu. Mit Maßnahmen wie z.B. die Ausstattung der Busflotte mit Niederflurbussen (bereits 100% in Wuppertal) und Rampen, Videoüberwachung, Serviceangeboten und zielgruppenorientiertem Marketing versuchen die WSW hier zusätzliche Kundinnen und Kunden zu gewinnen.”
S.25 f. (Hervorhebung von mir)

Welche der Maßnahmen im Fahplankonzept auf verändertes Kundenverhalten zurückzuführen ist und wie das aussieht, wird nicht erklärt. Man behauptet gegen jede Faktenlage einen Rückgang der Fahrgastzahlen im Ganzen und schiebt das auf den Einwohnerrückgang. Eine Lüge. Sinnvolle Anpassung ist so nicht von Unsinnigem zu unterscheiden und das ist wohl auch so gewünscht.

Der Oberbürgermeister erklärt weiterhin:

“Deshalb haben sich die Wuppertaler Stadtwerke in den vergangenen Monaten
jede einzelne Linie ganz genau betrachtet und ermittelt, wie viele
Fahrgäste zu welchen Zeiten, welche Abschnitte innerhalb der einzelnen
Linien nutzen. Als Ergebnis liegen jetzt transparente Fakten vor.”

Ich frage mich: Wo kann ich diese Ergebnisse einsehen und nachvollziehen?

Außerdem erklärt der OB:

“Dort, wo ein gutes paralleles Angebot der “normalen” Linien besteht, soll auch auf City-Expresse verzichtet werden.”

Kann mir mal jemand erklären, welche Linie parallel zum CE 61 (Alter Markt – Siegestr. – Oberbergische Straße – Lichtscheid – Ronsdorf) fährt?

Hier wird von der Stadtspitze und den Verantwortlichem im Rat mal wieder mit großer Begeisterung ein Volley im Aus versenkt. Jetzt wäre die Chance gewesen, das Thema ÖPNV mit allen Bürgern und Fahrgästen zu diskutieren. Aber nein, man beugt sich dem Diktat der WSW und paukt ohne Diskussion durch, was die Geschäftsführung für Wünschenswert hält. Sogar die Begründung (Einwohnerverlust) übernimmt man, ohne Nachzudenken – oder noch schlimmer, im vollen Wissen des Unsinns. Ein trauriges Bild gibt Wuppertal da ab.

Siehe auch: Die Kürzungen der WSW im Blickpunkt