Der VRR zum Fahrscheinlosen Nahverkehr

Wie mir heute die Pressesprecherin des VRR mitteilte, nimmt der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr in Bezug auf den Fahrscheinlosen Nahverkehr die gleiche Meinung ein, wie der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), deren Mitglied der VRR ist. Dieser erklärte am 23.Mai 2012 (und ich habe einige Stellen kommentiert):

“VDV bezweifelt den Nutzen des Nulltarifs im Nahverkehr
Nach Berechnungen des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) würde die Einführung eines Nulltarifs allein im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), also der kostenlosen Bus- und Bahnnutzung für alle Bürger, die öffentlichen Kassen und damit den Steuerzahler in Deutschland mit jährlich mindestens zwölf Milliarden Euro mehr belasten. Das Geld könne effizienter zur Steigerung der Attraktivität des ÖPNV eingesetzt werden.

Erfahrungen aus dem In- und Ausland zeigen, dass der politisch gewünschte Umstieg vom PKW auf den ÖPNV bei Einführung eines ÖPNV-Nulltarifs erheblich geringer ist als bei einer Verbesserung von Qualität und Quantität des Angebotes. Ohne kundenbezogene Angebotsverbesserungen findet bei Einführung eines Nulltarifes vor allem ein überproportionaler Umstieg von Fahrgästen des Umweltverbundes (Fußgänger und Radfahrer) auf den ÖPNV statt.”

Ein interessantes Argument, bei dem man sieht, wer zunächst umsteigt: Fußgänger und Radfahrer, also jene, bei denen der Preis auf kurzen Distanzen eine Rolle spielt. Allerdings ist es unverständlich, warum man sich den Fahrscheinlosen Nahverkehr (warum eine Steuerbelastung ein Nulltarif ist, weiß man wohl nur beim VRR) nicht zusammen mit einer Angebotsverbesserung vorstellen kann.

“Der nur mit enorm hohem finanziellen Aufwand realisierbaren Einführung eines Nulltarifs stände ein verkehrspolitisch fragwürdiges Ergebnis gegenüber. „Eine Verkehrswende zugunsten des umweltfreundlichen ÖPNV funktioniert am effektivsten mit Attraktivitätssteigerungen“, betont VDV-Präsident Jürgen Fenske.”

Die WSW mobil GmbH überlegt derzeit welche Kürzungen sie dem Rat der Stadt im Herbst vorlegen wird, um das Defizit zu verringern. (WZ: Stadtwerke wollen in drei Jahren schwarze Zahlen schreiben) Eine Attraktivitätssteigerung sieht anders aus.

“Die Forderung nach einem kostenlosen bzw. durch Steuergelder finanzierten Nahverkehr sei daher absurd, falsch und ungerecht. „Absurd, weil es heute schon im Nahverkehr große Finanzierungsprobleme aufgrund der angespannten Situation öffentlicher Haushalte gibt. Falsch, weil der Nahverkehr dann zu 100 Prozent staatlich finanziert würde und ein unternehmerischer ÖPNV damit zu einem behördlichen ÖPNV würde. Und ungerecht, weil über höhere Abgaben und Steuern alle Bürger für den Nahverkehr zahlen müssten.“

Absurd ist an dieser Stelle die Argumentation von VDV-Präsident Fenske. Die defizitäre Finanzierung des Nahverkehr würde durch das Konzept des steuerfinanzierten Fahrscheinlosen Nahverkehrs aufgelöst. 50 Mio. € Ballast würden bei den WSW wegfallen. Dass die Umwandlung eines unternehmerischen ÖPNV in einen behördlichen falsch ist, kann man so sehen. Der unternehmerische ÖPNV macht in Wuppertal jedes Jahr Verlust, inwiefern man da unternehmerisch gestalten kann sei dahin gestellt. Welche Form man der Ausführung des Fahrscheinlosen Nahverkehrs gibt – ob es ein Amt seien muss, bezweifle ich – lässt sich allerdings diskutieren. (Der VRR als verantwortlicher Besteller des Schienen-Personen-Nahverkehrs ist ja auch keine Behörde, sondern eine Anstalt öffentlichen Rechts.)
Zum dritten findet VDV-Präsident Fenske es ungerecht, dass alle Bürger sich am ÖPNV-Angebot finanziell beteiligen müssen. Das ist aber bereits heute so, das Defizit des Wuppertaler ÖPNV tragen die Strom-, Gas- und Wasserkunden der WSW, in anderen Städten der Haushalt. Darüber hinaus ist es Aufgabe des Staates und der Stadt mit dem Steuergeld Einrichtungen zu finanzieren, die sonst nicht wirtschaftlich geführt werden können. Schulen zum Beispiel. Kindergärten. Oper und Theater, Museen. Straßenbau. Schienenverkehr. Teilweise Flughäfen. Müllbeseitigung. Streitkräfte. Universitäten. Soziales. Polizei. Feuerwehr. Rettungsdienst.
Natürlich kann man sich über jeden Punkt streiten, ob das sein muss, oder nicht. Aber wenn etwas schlecht ist, weil es ungerecht finanziert wird, ist das eine fragwürdige Position. Es kommt auf Alternativen und Nutzen an.

“Der VDV rechnet bei der Einführung eines Nulltarifs im ÖPNV mit einem Anstieg der Fahrgastzahlen von durchschnittlich mindestens 30 Prozent. Das wäre ein solcher Nachfragezuwachs, dass die Verkehrsunternehmen vielerorts zu bestimmten Zeiten weder genügend Fahrzeuge noch ausreichend Personal zur Verfügung hätten. Die heute schon stark ausgelastete und an einigen Stellen veralterte Infrastruktur würde dort unter einer solchen Mehrbelastung auf Dauer zusammenbrechen. „Wir fahren jetzt schon in den Ballungsräumen und Großstädten teilweise an der Kapazitätsgrenze. Durch den Nulltarif würden auf einen Schlag etliche Millionen zusätzliche Fahrgäste den Nahverkehr nutzen. Dadurch wären weitere hohe Investitionen aus öffentlichen Mitteln nötig, denn es müssten Fahrzeuge gekauft, Personal eingestellt und Haltestellen, Bahnhöfe, etc. umgebaut werden. Von zusätzlichen Strecken, die neu gebaut werden müssten, ganz zu schweigen“, erklärt Fenske. In den vom VDV berechneten 12 Milliarden Euro pro Jahr sind die Kosten dieser milliardenschweren zusätzlich bereitzustellenden Infrastruktur noch gar nicht enthalten.”

Interessant, dass man mit Angebotssteigerung mehr Attraktivität schaffen will, aber hier davor warnt, dass mehr Fahrgäste den ÖPNV nutzen. 30 Prozent mehr Nachfrage wäre doch schon ein Erfolg (und das sollen alles Radler und Fußgänger sein?) Darauf müsste man sich also einstellen in Sachen Verkehrsmittel und Personal. Aber ist das nicht letztendlich das Ziel, dass mehr Menschen den ÖPNV benutzen? Im Übrigen ist es ein Armutszeugnis für Politik und VRR, dass unsere Infrastruktur keine Fahrgaststeigerung des ÖPNV aushält.

“Für den deutschen Nahverkehr, da sind sich die VDV-Mitgliedsunternehmen einig, kann es daher auch in Zukunft nur bei den seit Jahrzehnten etablierten Finanzierungssäulen bleiben: Auf der einen Seite müssen Bund, Länder und Kommunen eine angemessene Mitfinanzierung des ÖPNV sicherstellen. Und auf der anderen Seite zahlt der Kunde seinen Fahrschein, darauf können die Unternehmen nicht verzichten.”
(PM: VDV bezweifelt den Nutzen des Nulltarifs im Nahverkehr)

Business as usual bedeutet, dass Defizite bleiben und Angebote verkürzt werden müssen, wenn nicht einer der drei Zahler in der Lage ist, Mehrausgaben zu leisten. Und wer sollte das sein?