Böse Schulden – Gute Schulden

Wenn in den Nachrichten die Neuverschuldung des Bundes, des Landes oder die hoffnungslose Lage dieser Stadt erörtert wird, geht wohl ein kollektiver Seufzer durch die Republik, NRW und/oder Wuppertal. Die einen schütteln den Kopf, die anderen haben’s schon immer gewusst und der Rest schimpft auf “die Politiker”. Die Schuldenbremse kommt 2020 und man ist geneigt ein “endlich” oder ein “richtig” hinzuzufügen. 
(Interessanterweise listet Google unter den ersten Treffern zum Suchbegriff “Schuldenbremse” folgende Meldungen auf: DER SPIEGEL: Wieso die Schuldenbremse Wahnsinn ist und das Handelsblatt: Führende Ökonomen verteufeln Schuldenbremse
Ich habe die Schuldenbremse eigentlich nie für falsch gehalten, mich aber auch nicht sonderlich damit beschäftigt. Doch am Freitag kam ein interessanter Beitrag im WDR 5 Westblick (Podcast) zum neuen Programm der Landesregierung gegen Jugendkriminalität: Kurve kriegen. 

“Erfahrungen zeigen, dass Intensivtäter häufig bereits vor dem 14. Lebensjahr durch Gewalt- und Eigentumsdelikte auffallen. ‘Hier müssen wir mit einem individuellen und sehr konzentrierten Programm ansetzen, weil sich besser im Kindesalter Entwicklungen mit guter Aussicht auf Erfolg beeinflussen lassen’, erläuterte  Jäger. [Innenminister NRW, Anm.]

Die Polizei erfährt als erstes davon, wenn Kinder Straftaten begehen. Deshalb soll den Modellbehörden ermöglicht werden, gezielt und umsichtig zu helfen, damit Kinder und Jugendliche noch die “Kurve kriegen”. Wir wollen die Arbeit der Jugendämter ergänzen. Geplant ist, pädagogische und psychologische Fachkräfte in die Teams der Polizei einzubinden. Diese kümmern sich dann vor allem um strafunmündige Kinder, die zum Beispiel innerhalb der letzten zwölf Monate durch eine Gewalttat oder drei schwere Eigentumsdelikte aufgefallen sind. Auf jede Straftat soll unverzüglich eine pädagogische Maßnahme erfolgen. Dafür gibt es in Absprache mit den Jugendämtern maßgeschneiderte Angebote – vom sozialen Training bis hin zur intensiv pädagogischen Betreuung in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. “ Presseerklärung des Innenministeriums 01.04.2011

Anschließend an den Bericht führte der Westblick ein Interview mit Prof. Dieter Rössner, Kriminologe an der Universität Marburg. Dieser lobte das Projekt der Landesregierung, da es zum ersten Mal alles so richtig aufgenommen habe und mit Mehr-Ebenen-Konzepten gegen Jugenkriminalität vorgehe. Was mich aber fasziniert hat, war folgender Punkt: Der Moderator sprach den Professor auf das Thema des ökonomischen Nutzens von Prävention an und erwähnte, dass ein jugendlicher Straftäter den Staat an die 40.000 € koste. Darauf erwiderte der Experte:

“Wir kennen aus der Prävention durchgerechnete Beispiele. Zum Bespiel eine zweijährige intensive Intervention während des Kindergartens hat in den USA mal 16.000 Dollar pro Kind gekostet und hat -diese Untersuchung wird seit 40 Jahren durchgeführt- jetzt 14 Dollar gebracht für einen damals investierten. Das ist Nachhaltigkeit erster Klasse und wenn wir das mit irgendwelchen Prestigeprojekten in der Politik vergleichen, kann man kaum ermessen wie wichtig es wäre in die menschlichen, die humanen Ressourcen zu investieren.”

Die Landesregierung investiert in das Projekt neun Millionen Euro und erspart damit – wenn es erfolgreich ist –  dem Steuerzahler die 14fache Summe an Ausgaben in Zukunft. Also wenn die CDU in den Verhandlungen um den Haushalt 2011 und die Neuverschuldung argumentiert, dass die Neuverschuldung die Lasten auf die Kinder abwälze, stimmt das nicht bei allen Ausgaben, die im Haushalt vorgesehen sind.
Zwei Stunden vor Westblick lief ThemaNRW im Radio. Es ging um die zahlreichen, meist defizitären Regionalflughäfen in NRW. (Die Sendung gibt es in der Mediathek) Im Interview mit dem Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein, Paul Breuer, wird dieser auf die schlechte finanzielle Lage des Regionalflughafens angesprochen. Dieser argumentiert, dass im Siegerland viele “Hidden-Champions” zu Hause seien, die hier Arbeitsplätze böten und den Flughafen für Geschäftsreisen bräuchten. Der Flughafen sei eine wirtschaftsfördende Maßnahme.
Ich kann nicht beurteilen, ob unterm Strich die Schulden des Flughafens durch den Nutzen für die steuerzahlenden Betriebe und damit die Staatskasse wieder ausgeglichen werden. Die Ausgaben für das Projekt “Kurve kriegen” machen Sinn, auch wenn man sich das Geld leihen muss. Ob es Sinn macht Regionalflughäfen mit Schulden zu finanzieren? Der Regionalverkehr der Bahn ist auch defizitär, aber von hohem wirtschaftlichen Nutzen.
Wie unterscheidet die Politik zwischen sinnvollen und unsinnigen Schulden? Volkswirtschaftler sagen, die Bankenrettung in der Finanzkrise war gerechtfertigt und gut, sonst wäre es uns teurer zu stehen gekommen. Die Kurzarbeit in Deutschland war gut, sie hat schwere wirtschaftliche Folgen der Finanzkrise gemildet.
Schulden zu machen, um Sozialleistungen zu erbringen, sind keine gute Schulden, denn sie lösen kein Problem und schaffen keinen Gewinn für den Staat/die Stadt. Diese Ausgaben müssen von Steuereinnahmen gedeckt werden, denn sie amortisieren sich nicht. Oder doch?

“Investitionen in die frühe Förderung von Kindern aus sozial schwachen Familien, mehr Betreuungsplätze und eine höhere Abiturientenquote könnten einer Studie zufolge Sozialausgaben in Milliardenhöhe vermeiden.Eine von der NRW-Landesregierung beim Forschungsinstitut Prognos in Auftrag gegebene Untersuchung beziffert die Reparaturkosten mangelhafter Sozialpolitik und dadurch verursachte Steuerausfälle auf insgesamt fast 24 Milliarden Euro im Jahr. Davon könnten schon in den kommenden zehn Jahren rund 8 Milliarden Euro eingespart werden, berichteten die Autoren der Studie.”
WELT online: “Investitionen rechnen sich”

Schulden sind nicht automatisch böse. Wer dieses Jahr per Kredit KiTa-Plätze schafft, sodass zwei statt einem Erzeihungsberechtigten im nächten Jahr arbeiten und Steuern zahlen können, erhöht womöglich die Steuereinnahmen. Wer rechtzeitig richtig investiert, macht ausreichend Gewinn um Schulden zurückzuzahlen und weiterhin gut wirtschaften zu können. Doch wie schaffen wir es, dass der Souverän – das Volk – und sein Vertreter immer verstehen, was gute und was schlechte Schulden sind?  Wie schaffen wir es, das transparent zu machen? Wie sicher können wir uns sein, dass der investierte Euro sich in Zukunft rentiert?

Vielleicht liegt es ja auch gar nicht an den Ausgaben? Vielleicht liegt es an den Einnahmen des Staates? Ich bin neulich auf einen Mitschnitt eines Auftritts des von mir sehr geschätzten Kabarettisten Volker Píspers gestoßen (auf Youtube ab Minute 34.). Er nennt hier das Beispiel der umlagefinanzierten Rente und bemängelt, dass sich hierzulande einzelne Berufsstände ausklinken und eigene Altervorsorgen geschaffen haben (Ärzte, Architekten, Anwälte, also die Besserverdienenden). So erklärt er, dass nur noch 27% der Deutschen in die gesetzliche Rente einzahlen. Er führt als erfolgreiches Beispiel die reiche Schweiz an, wo jegliches Einkommen – nicht nur das Lohneinkommen – anteilig in die Rente eingezahlt wird und zwar ein kleinerer Prozentsatz als in Deutschland. Anschließend geht er noch auf die Beitragsbemessungsgrenze ein. Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung und Pflegeversicherung machen 20% des Bruttolohns aus –  aber nicht für alle. Volker Pispers bringt ein Beispiel: 2000 € Bruttolohn,  20% = 400 €. 4000 € Bruttolohn, 20% = 800 €.

“Wenn Sie 8000 € verdienen, was glauben Sie, was Sie dann zahlen? Auch 20 Prozent?
Das wären 1600 €. Nee, nicht ganz. Sie zahlen 889,93 €. […] Das steigt dann nicht mehr. Wenn Sie 20.000 € im Monat verdienen zahlen Sie auch 889,93 €. […] Das ist die Beitragsbemessungsgrenze. Man kann das auch einen Schutzzaun für Reiche nennen.[…] Der  mit 5000 zahlt 20% von seinem Lohn und der mit 20.000 zahlt nur 5% von seinem Lohn.”
(Volker Pispers)

Ich habe die letzte Woche, die keine Stunde mehr dauert, viel über Geld nachgedacht. Über Gerechtigkeit, über Investitionen, über Schulden, über Politik. Ich hoffe, die Quintessenz daraus ist verständlich und lesbar, auch wenn es eigentlich nur Aufgeschnapptes und Fragen sind. Über Kommentare und Anregungen würde ich mich freuen.